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Im Gespräch mit Roland Neuwirth

„Ich habe das Unbedingte immer in mir gehabt“

Sänger, Autor und Komponist Roland Neuwirth anlässlich seines 70. Geburtstags über Schubert, Verzicht, Konkurrenz, Freude bis hin zu Versäumnissen in der Bildungspolitik.

Sie sind Wiener, leben aber die meiste Zeit im Waldviertel. Wie geht es Ihnen in dieser herausfordernden Zeit?

ROLAND NEUWIRTH: Im Waldviertel habe ich den unheimlichen Vorteil, viel Platz zu haben, und ich kann mich auch im Freien aufhalten. Für mich ist diese Zeit, außer dass ich nicht spielen kann, keine persönliche Tragödie, weil ich grundsätzlich nicht so ein sozialer Mensch bin. Ich bin es von Kindesbeinen an gewohnt, allein zu sein, und mir ist nie fad. Es ist aber schön, dass ich meine Familie wieder mehr um mich habe.

Wie denken Sie grundsätzlich über die Corona-Zeit?

ROLAND NEUWIRTH: Ich denke an die Menschen, die erkrankt sind, vielleicht gar gestorben, und an ihre Angehörigen. Es ist entsetzlich. Ich persönlich halte alle Bestimmungen ein, die es gibt, bin hier aber nicht übertrieben und keiner, der mit einer „Pappnwindl“ allein im Auto sitzt. Man lebt die Zeit vielleicht noch viel bewusster, aber das sollte man sowieso immer tun, denn die Zeit ist einfach sehr kostbar.

Achtsam zu sich selbst und zur Natur?

ROLAND NEUWIRTH: Der Mensch lebt schon seit langer Zeit falsch, und dass es Viren und andere Seuchen gibt, ist daher kein Wunder. Die Natur wurde und wird ausgebeutet, die Natürlichkeit der Nahrung wird von Chemie oder durch Massentierhaltung zerstört und die Hygienezustände in vielen Entwicklungsländern sind katastrophal. Auch in unseren Reihen geht man fahrlässig mit der Natur um, denn wenn man Windräder ausgerechnet in den schönsten, letzten zusammenhängenden Waldgebieten aufstellt, dann muss man sich dagegen wehren. Es darf auch nicht alles zubetoniert werden, denn Bodenversiegelung kann man nicht mehr rückgängig machen. Lieber alte Häuser gscheit restaurieren als schiache neue hinklotzen.

Als Großstädter haben Sie das Land lieben gelernt. Wo liegt hier Ihre Geschichte?

ROLAND NEUWIRTH: Von Kindesbeinen an bin ich ein halber Niederösterreicher. Ich habe jede freie Minute in Greifenstein an der Donau verbracht. Ich kenne noch die Au mit ihrem Wildwuchs von damals, heute ist leider alles weg. Es war eine großartige Kindheit. Ich bin gerne in der Natur und finde hier im Waldviertel wunderbare Plätze zum Fischen. Auf meine alten Tage hin habe ich mir eingebildet, unbedingt die echte Wildnis zu erleben, in Alaska. Lachse, Grizzlybären und besoffene Eskimos, Lagerfeuer und campen direkt am Shaktoolik River. Es war ein lehrreiches Abenteuer.

Von den Bären nun zur Musikbranche. Ist diese nicht oft ein Haifischbecken?

ROLAND NEUWIRTH: Nein, das ist alles viel harmloser, als es sich die Leute vorstellen. Früher habe ich natürlich versucht, einen Hit zu landen, und mit zwei Titeln ist es mir fast geglückt. Aber das war nicht meine Musik. Der Austropop war nie meins und daher bin ich meinen eigenen Weg gegangen. Der Weg war dadurch überhaupt nicht leichter, denn manchmal hätte ich schon eine Lobby gebraucht. Mit guten Beziehungen wäre vieles schneller gegangen, aber es ist gut so, wie es war und ist.

Sind Sie dadurch freier geblieben?

ROLAND NEUWIRTH: Ja, keine Frage! Ich habe nur deshalb so lange überleben können, weil ich von niemandem abhängig war. Ich habe das alles selbst auf die Beine gestellt und in den meisten Fällen hat es funktioniert. Natürlich hatte ich geschäftlich Nachteile und ein Geschäftsmann hätte sich an den Kopf gegriffen, was ich alles gemacht habe. Ich habe viele Dinge unbedingt machen und ausprobieren wollen, die eigentlich ein Schuss ins Knie waren. Als Künstler ist es schön, wenn man die Leute überrascht und Texte und Stücke präsentiert, die vom Publikum nicht erwartet werden. Die Wissenschaftler, die meinen Nachlass sichten, werden draufkommen, was ich da alles gemacht habe. Wichtig ist, dass man selbst kreativ bleibt und die Menschen in die Konzerte kommen und vorher schon gespannt sind, was „ihm“ schon wieder eingefallen ist. Hier bin ich sicher eine Ausnahme.

Sie sind seit wenigen Wochen 70 Jahre alt. In Pension sind Sie aber noch nicht?

ROLAND NEUWIRTH: Natürlich bin ich pensionsberechtigt, ich habe genug eingezahlt, da können noch drei andere von mir leben. Früher war ich Schriftsetzer und davon bekomme ich eine Pension und dann war ich auch lange Zeit Musiklehrer in Baden. Bei der AKM werde ich als freischaffender Musiker geführt und es freut mich, wenn ich an der Tantiemenabrechnung sehe, dass ich in den verschiedensten europäischen Ländern gespielt werde. Ich war die letzten Jahrzehnte schon fleißig, habe dauernd komponiert und getextet.

Was viele nicht wissen, Sie haben auch Operetten geschrieben.

ROLAND NEUWIRTH: Ja, ich habe Film- und Theatermusik, einige Orchesterwerke und schon drei Operetten geschrieben, und eine davon war eine Schrammel-Operette. Sie hat deshalb funktioniert, weil ich sie bei einem freien Theater in Litschau aufführen konnte und die Besetzung so klein war. Ich würde gerne noch eine zeitgemäße Operette schreiben, aber es ist sehr viel Arbeit, bis man die Noten zusammenhat und es für Orchester und klassische Sängerinnen und Sänger tauglich macht. Ich will mich aber nicht mehr reinpressen oder gar kriechen müssen, damit man meine Werke will. Vor Jahren hatte ich schon Zusagen in der Volksoper und im Volkstheater, aber kurz vor Vertragsabschluss wurden dann die jeweiligen Leiter gekündigt.

Sie wirken oft griesgrämig, zuletzt in der Fernsehsendung von Barbara Stöckl.

ROLAND NEUWIRTH: Griesgrämig bin ich überhaupt nur der Zeit gegenüber. Da rennt oft sehr viel falsch in meinen Augen und da kann man nicht immer gut aufgelegt sein. Das hat aber nichts damit zu tun, wie ich wirklich bin. Barbara Stöckl ist eine tolle Moderatorin, aber ich habe mir während der Sendung die Frage gestellt, ob ich hier zu den anderen Gästen überhaupt dazupasse. Ich habe überhaupt keine Lust mehr gehabt, etwas zu reden, sondern habe an die Mitdiskutanten einfach Fragen gestellt. Das ist der Vorteil, wenn man nicht mehr von allem abhängig ist. Arm sind jene Musiker, die nie etwas selbst geschrieben haben und „nur“ vom Spielen leben müssen. Man sollte nicht nur nachspielen, sondern ein guter Musiker braucht auch seinen eigenen Boden. Um künstlerisch frei zu sein, bin ich früher arbeiten gegangen, um nicht das spielen zu müssen, was die Leute wollten.

Hat Sie Ihre einfache Kindheit geprägt?

ROLAND NEUWIRTH: Selbstverständlich, denn wir haben zu fünft quasi in „Zimmer, Kuchl, Kabinett“ gewohnt. Heutzutage gibt es eine andere Armut, eine, in der es keine Perspektive gibt. Und viele Menschen kommen aus dieser Falle allein nicht mehr raus. Jeder kann schon tun, was er will, aber: „Wer sich nicht ruiniert, aus dem wird nichts!“, hat ja der Dichter Peter Rühmkorf so treffend gesagt. Freischaffend sein heißt verzichten und wie besessen arbeiten.

Hat Sie daher Ihr Wille stark gemacht?

ROLAND NEUWIRTH: Ich verstehe Menschen oft moralisch nicht, die aus einem gutbürgerlichen Haus kommen, denen alles offensteht, sie aber dadurch oft nicht wissen, was sie tun sollen. Sie haben das Unbedingte nicht an sich. Ich habe das Unbedingte immer gehabt. Seit meiner Kindheit wusste ich, dass ich Musiker und Dichter werden möchte, und das habe ich geschafft. Ich hatte auch keine andere Chance, denn als gelernter Schriftsetzer, der nur Partezettel druckt, konnte ich nicht meinen Geist und mein Herz ernähren. Gott sei Dank hatte ich auch Wegbegleiter, die an mich geglaubt haben. Hansi Dujmic, Gott hab ihn selig, hat mich das klassische Gitarrenspielen gelehrt und mich auf die Hochschule gebracht. Ich habe so lange geübt, bis ich blutige Finger hatte, und nach zwei Monaten habe ich die Aufnahmeprüfung geschafft – dann ist plötzlich die Sonne in mein Leben gekommen. Da ich schon Familie hatte, habe ich drei Berufe gleichzeitig ausgeübt – Musiker, Schriftsetzer und nach abgeschlossener Ausbildung durfte ich unterrichten.

Die Kultur.Region.Niederösterreich hat eine Deklaration zur Bedeutung der Regionalkultur am Ende des ersten Lockdowns veröffentlicht. Wie erleben Sie Kultur in den Regionen?

ROLAND NEUWIRTH: Man spürt überall, wohin man auch kommt, engagierte Personengruppen und Initiativen. Ich selbst habe in einem Chor in Groß-Siegharts mitgesungen, den meine Frau zwölf Jahre lang geleitet hat. Hier und bei vielen anderen Begegnungen habe ich das Vereinswesen erlebt. Für mich ist das der Herzschlag in einer Gesellschaft. Menschen wollen sich weiterbilden und durch Kontinuität und Freude erreichen sie sehr viel. Das geht nicht nebenbei, sondern viele sind hier jahrelang tätig. Wichtig ist auch, dass man die Jugend anspricht, daran hapert’s meistens. Die Massenmedien lassen die Leute bequem werden und lieber daheim herumhocken. Das Geheimnis des Freiwilligenwesens ist aber die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Leute für die Gemeinschaft engagieren. Das finde ich einfach großartig.

Niederösterreich ist das Land der Freiwilligen, aber kulturell tut sich hier auch enorm viel. Wie ist hier Ihre Wahrnehmung?

ROLAND NEUWIRTH: Ehrlich gesagt, ich bin Wiener und ich werde es auch bleiben. Aber ich bewundere Niederösterreich für seine Kulturpolitik. Diese ist einmalig in Österreich und ich habe große Achtung davor, was hier geschaffen wurde. Ich meine hier explizit die Hoch- und Regionalkultur gemeinsam. Maßgeblich ist auch, dass es im kulturellen Sinn einen Austausch mit anderen Ländern gibt. So wie die Wildtiere keine gezogenen Grenzen kennen, kennt auch die Kunst keine Grenzen. Innerhalb des Landes waren z. B. Niederösterreich und Wien schon immer grenzenlos und dieser natürliche Austausch hat viel bewirkt. Früher war das natürlicher als heute, als die Fuhrleute nach Wien und in die Vorstädte kamen – deswegen ist hier die Schrammelmusik geboren und nicht in der Innenstadt.

Wie kann man das Kulturverständnis fördern?

ROLAND NEUWIRTH: Das Um und Auf wäre ein zurückfordernder bildungspolitischer Wille. Allein dass Literatur in den Schulen nicht mehr verpflichtend ist, ist ja unglaublich. Viele lesen nicht mehr, sondern schauen nur mehr nach und glauben, wenn sie nachschauen, dass sie lesen. Es ist etwas ganz anderes, wenn man sich über Google informiert oder ein Buch liest. Was soll aus einer Gesellschaft werden, die nicht mehr liest? Auch der Musikunterricht gehört reformiert, denn Singen öffnet den Geist. Kunst und Kultur, das macht ja überhaupt erst den Menschen aus!

Wie erleben Sie junge Menschen im Alltag?

ROLAND NEUWIRTH: Ich habe das Gefühl, dass viele allein gelassen werden. Deswegen ist eine starke Präsenz der Lehrkräfte umso wichtiger. Für viele Junge sind die sozialen Medien die einzige Kontaktmöglichkeit. Im Zuge eines Krankenhausaufenthalts habe ich den Unterschied zwischen Warten und Herumlungern gesehen. Das ist mir mit voller Kraft eingefahren. Junge Leute sitzen da und schauen nur in ihr Handy rein. Dann schaut man ihnen in die Augen und man spürt absolute Leere. Sie warten nicht, sondern sie haben nichts anderes zu tun, als herumzulungern. Der, der wartet, liest vielleicht eine Zeitung, raucht, sitzt ganz anders da, spricht mit anderen Menschen und schaut manchmal auf die Uhr. Ein wartender Mensch schaut gleichzeitig in die Zukunft. Viele junge Menschen haben leider keinen Grund auf etwas zu warten, denn auf was sollen sie warten, wenn nichts in ihnen ist? Kinder und Jugendliche brauchen Persönlichkeiten, die ihnen Wissen und Werte näherbringen. Das Handy allein kann dir nicht sagen, worauf’s ankommt. Der Irrtum ist, dass viele Individualisten glauben, in einer Gemeinschaft zu leben, weil sie nebeneinanderstehen.

Braucht es wieder mehr Angebote, um Begegnungsräume zu schaffen, wo man sich wirklich trifft und mitsammen etwas tut?

ROLAND NEUWIRTH: Ich habe deshalb auf meine alten Tage hin wieder zu unterrichten begonnen, weil ich überzeugt bin, dass man jungen Menschen etwas vermitteln muss. An der Musikuniversität habe ich dank Ursula Hemetek und Daniela Mayrlechner eine Klasse für Wiener Musik initiieren können, denn es wird Musik von der ganzen Welt gespielt, nur die eigene nicht. Jeder für sich kennt Beispiele, wie man Talente fördern kann. Es bedarf auch wieder viel mehr der Freude, denn die wird vielen Jungen ausgetrieben. Im Musikunterricht darf die Freude nie zu kurz kommen. Aber wie soll das gehen, wenn die Lehrer keine haben? Behandelt die Lehrer besser!

Trotz Lockdowns haben Sie im Vorjahr zwei Werke veröffentlicht – einmal die „Winterreise“, wo es um die Musik von Franz Schubert geht, und dann das Album „Erd’“, das Sie mit dem radio.string.quartet eingespielt haben.

ROLAND NEUWIRTH: Die wienerische „Winterreise“ war eine Idee rund um den Kultursommer Semmering. Da hat es noch die „Extremschrammeln“ gegeben und Florian Krumpöck wollte mitspielen. Ich habe dann Schuberts „Deutsche Tänze“ arrangiert, mit Schrammelquartett und Klavier abwechselnd. Für den Teil nach der Pause habe ich den „Wegweiser“ aus der Winterreise ins Wienerische übersetzt und uraufgeführt. Jahre später habe ich schließlich dem Drängen Krumpöcks nachgegeben und den ganzen Liederzyklus übersetzt. Das Streichquartett dagegen hat sich meiner eigenen Lieder angenommen und deren Essenz auf ein besonderes, ganz eigenes Niveau gehoben.

Was sind Ihre nächsten Projekte?

ROLAND NEUWIRTH: Ich freue mich schon wieder auf Auftritte, denn dann habe ich wieder ein Ziel und übe mehr. Derzeit spiele ich nur täglich eine Stunde auf der Kontragitarre, damit ich meine Fingerfertigkeit nicht ganz verliere. Vor kurzem hatte ich das Angebot, auch Schumann ins Wienerische zu übersetzen, aber das habe ich abgelehnt. Im Vergleich: Franz Schubert hat die Musik im Kunstlied revolutioniert. Seine Klavierbegleitung bildet eine selbständige, zusätzliche Ebene zum Gesang. Sie könnte auch für sich allein stehen. Das ist der totale Unterschied zu Schumann. Er hat eigentlich nur begleitet, auch wenn er dabei eine noch so einmalig tolle Stimmung erzeugt, bleibt er in seinem eigenen Kosmos. Schubert hat die Struktur der Gedichte musikalisch frei aufgelöst und ist vom Wort g e h a l t ausgegangen, weswegen die Texte ins Heute übersetzbar sind.

Sie haben einmal gesagt, dass die „Gehörgänge der Wesentlichkeit“ Ihr Lebenselixier sind. Was meinen Sie damit?

ROLAND NEUWIRTH: Als Musiker und Mensch ist mir eben das Wesentliche wesentlich. Ich habe früher wie die anderen auch Fußball gespielt, aber noch lieber habe ich auf meiner Gitarre jeden einzelnen Ton rausgeholt. Das war mir wichtig und dadurch bin ich vielleicht mehr in dieser Welt, als mancher glaubt, weil ich mich auf die wesentlichen Dinge, das ist für mich die Seele, konzentriere.

Die Geburtstagsfeier unter dem Titel „Schall und Rauch“ wurde aufgrund von Covid-19 verschoben. Wird sie nachgeholt?

ROLAND NEUWIRTH: Jetzt ist sie einmal für April geplant, aber wer weiß. Da kann sich noch viel tun, weil die Welt hat vor einem Jahr auch noch anders ausgesehen.

Ich wünsche Ihnen noch viele Jahrzehnte in Frieden, Freude und mit viel Gesundheit. Was nehmen Sie aber im Koffer für Ihre letzte Reise mit?

ROLAND NEUWIRTH: Ich werde keinen Koffer haben. Ich gehe blank, „bloßhappert“, aber nehme die Liebe von meinen Lieben mit. /

 

Wordrap

Gastfreundschaft:       freundliche Menschen werden von mir freundlich bedient

Erdapfel:                     schönes altes Wort

Hutträger:                   sich selbst behüten und behütet sein       

Strawanzer:                der keine Wurzeln hat

Gfraster:                     gibt es in Hülle und Fülle

Wackelsteine:             er wackelt, aber bleibt trotzdem

Hochkultur:                 Spitze der kulturellen Leistungen

Regionale Museen:     kommen von den Menschen selbst

.Ein Interview von Martin Lammerhuber - nachzulesen auch im Schaufenster Kultur.Region 1 2021

Fotos: Margarete Jarmer

Kultur Niederösterreich
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