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Tag der Regionalkultur 2022: Aufwind und Auftrag regionaler Kultur

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Wertvolle Impulse, mutige Ideen und konkrete Ansätze für die regionale Kulturarbeit lieferte der Tag der Regionalkultur im Schloss Atzenbrugg. Unter dem Titel „Das gute Leben“ erörterten Vertreterinnen und Vertreter von Wiener Umland-Gemeinden Ansätze, Zuzüglerinnen und Zuzügler durch Kulturarbeit ins Gemeindeleben einzubinden, sprach Jugendpsychiater und Autor Paulus Hochgatterer über Resilienz und die Kraft der Gemeinschaft und machten sich Kultur-Expertinnen und -Experten Gedanken über Motivation, Zugänge und Aufgaben ihrer eigenen Arbeit. Ausgerufen worden war der Tag, auf Initiative von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, zum ersten Mal im Vorjahr – als Tag der Hoffnung und Wieder-Eröffnung kultureller Betriebe nach den Lockdowns. Mit und nach dem zweiten Tag der Regionalkultur soll er selbst zur Tradition werden und jährlich als Raum für Bestandsaufnahme, als Ideenwerkstatt und als Richtungsweiser für die weitere Zukunft dienen.

Wiener Umland-Gemeinden vernetzen sich

Beim Vernetzungstreffen der 12 Pilotgemeinden des Projekts Umland Wien der Kultur.Region.Niederösterreich stand die Frage nach der Rolle der Regionalkultur als gesellschaftliches Bindeglied im Mittelpunkt. Gerade die Aufgabe, Zuzüglerinnen und Zuzügler in die Gemeinschaft der Gemeinde einzubinden, stand im Fokus von Gemeindepolitikerinnen und -politikern und Kulturverantwortlichen. Die Pandemie habe eine Binnen-Migration und bei jungen Menschen eine Sehnsucht nach Nähe und Gemeinschaft ausgelöst. Die zwölf Gemeinden unterscheiden sich in ihrem kulturellen Angebot, haben aber größtenteils ein gemeinsames Thema, nämlich wie sie inhaltlich und kommunikativ die inhomogene Gruppe der Zuzüglerinnen und Zuzügler erreichen. Aus diesem Bedarf wurde bereits der Wunsch nach gemeinsamen Analysen und Strategien für die Vermarktung abgeleitet. Zudem waren sich die Vertreterinnen und Vertreter einig, dass für eine gelungene Kulturarbeit in der Gemeinde auch Jugendliche eingebunden werden müssen. Für sie gelte es, eigene Angebote zu schaffen und sie etwa auch bei der Gestaltung von Gemeinde-Homepages zu berücksichtigen. Die Aufgabe der Regionalkultur sehen die Umland-Gemeinden nicht im Ticket-Erlös, sondern in der gesellschaftlichen Bindekraft und der gegenseitigen Annäherung verschiedenster Bevölkerungs-, Alters- und Interessensgruppen. Beispiele dafür sind ein partizipatives Chor-Projekt in Kaltenleutgeben, mitgetragen von der jüngsten Bürgermeisterin Österreichs Bernadette Geieregger, sowie auch ein Festival in Berndorf, das mit lokalen Vereinen und Initiativen niederschwellige Kulturarbeit transportiert und die Freiwilligkeit wertschätzt und vorantreibt.

Paulus Hochgatterer: „Ich bin ein Fan der persönlichen Begegnung“

Über seine „sehr schöne Kindheit“ und seine Begegnungen mit regionaler Kultur sprach Jugendpsychiater und Autor Paulus Hochgatterer mit ORF 3-Moderatorin Ani Gülgün-Mayr. Der gebürtige Amstettner war noch als Kind nach Blindenmarkt gezogen und dort als Ministrant und als Mitglied der Jugendblasmusik sowie als Musikschüler Teil der örtlichen sozialen Verbände. Vor allem die Geborgenheit in der Großfamilie und die Balance zwischen sicherer Struktur und Regeln auf der einen Seite und viel Freiheit auf der anderen Seite stärkte Hochgatterer. Diese Form der Erziehung erlebt der renommierte Autor auch heute in der Rückschau als stärkenden Faktor. Als „Fan der persönlichen Begegnung“ stuft er die Pandemie als Katastrophe für Kinder und Jugendliche ein. „Vor allem nach dem ersten halben Jahr, wo die angesammelten Kräfte schwanden. Auf uns rollte eine Welle zu, die sich in einer Vervielfachung von suizidalen Jugendlichen und Essstörungen ausdrückte.“ Angesichts sozialer Isolation und psychosozialer Verletzlichkeit sei alles, was Antworten auf die Frage „Wer bin ich?“ liefere, gut. Begegnungen seien identitätsstiftend, heilsam und auch die Antwort auf die Frage anwesender Kulturexpertinnen und Kulturexperten nach einer Strategie, Zuzüglerinnen und Zuzügler zu „erreichen“ und sie ins Gemeindeleben mitaufzunehmen: „Das Wichtigste ist, dass wir uns für die Geschichte des anderen interessieren. Mit Fragen wie ,Woher kommst du?´ und ,Was ist deine Lebensgeschichte?´. Das ist der erste Schritt zur gelungenen Integration.“ Gerade junge Menschen könne man nur erreichen, indem man wirke: „Wenn sie uns mit Begeisterung erleben, werden sie auch selbst mehr die Fähigkeit entwickeln, sich für etwas zu begeistern.“ Insgesamt stuft Paulus Hochgatterer die Kultur als vereinende Kraft, als Auffangbecken und als Antwort auf viele Fragen ein. Er ermutigte mit seinen Ausführungen die Anwesenden für ihre Kulturarbeit, auch im Rahmen einer lebendigen, anregenden Diskussion über Kultur, Empathie und Gemeinschaft.

Chancen für Kulturarbeit und Gesellschaft

Im dritten Teil des Tages der Regionalkultur tauschten sich Kultur-Expertinnen und -Experten über ihre Zugänge zur Kulturarbeit aus. Unter dem Titel „Alter Trott und neuer Stress? Lehren aus Corona für die Regionalkultur“ sprachen sie über Motivation, Herausforderungen, Chancen und Aufgaben. In der Regionalkultur sieht Elisabeth Vavra, Mitglied des Kultursenats des Landes Niederösterreich, mehr Bedarf denn je. „Die Gesellschaft hat sich auseinanderentwickelt. Ich finde es gefährlich, dass wir uns immer mehr an den Verlust von Kontakt gewöhnt haben.“ Nach den letzten zwei Jahren sei die Sehnsucht nach Nähe und Halt groß, betont Blasmusikverband-Landesobmann Bernhard Thain. „Auch für die Jugend sind Worte wie Heimat und Halt wieder wesentlicher geworden. Die Begegnung mit Menschen kräftigt uns alle.“ Neben ihrer Ausbildung habe gerade die Regionalkultur viel zu ihrem Selbstbewusstsein, Auftreten und Werdegang beigetragen, erklärt Elisabeth Haimberger, Kommunikationsleiterin von Vetropack Austria und Mitglied im Tanzforum Niederösterreich. Gedanken um die Wünsche und Bedürfnisse des Publikums müsse man sich heute mehr denn je machen, empfiehlt Berndorfs Kulturamtsleiterin Maddalena Vrhovec. Eine große Herausforderung sieht der Sänger und sechsfache Song-Contest-Teilnehmer Gary Lux in der Polarisierung dieses Publikums: „Die einen interessieren kulturelle Formate und Angebote ganz, die anderen gar nicht.“ 


Kultur.Region.Niederösterreich-Geschäftsführer Martin Lammerhuber sieht die Regionalkultur als Kitt und Chance für die Gesellschaft: „Die Regionalkultur muss künftig eine andere Antwort geben. Die Sehnsucht der Menschen nach Nähe, Gemeinschaft und Inhalt ist größer denn je.“ Die Teilnehmenden waren sich einig, dass Regionalkultur Werte vermitteln könne, dass die Regionalität Triebfeder sei und dass mit Vorbild-Wirkung und Optimismus ein Neubeginn nach den letzten beiden Jahren möglich sei.

Kultur Niederösterreich
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