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Zugehörigkeit als Medizin gegen die Einsamkeit
Einsamkeit kann alle ereilen. Einsamkeit wird immer „jünger“. Und: Gegen Einsamkeit gibt es Mittel und Wege, Lösungen und Strategien. Beim Symposium „Einsamkeit. Zwischen Isolation und bewusstem Rückzug“ thematisierte die Initiative „Nachbarschaft leben“ der Kultur.Region.Niederösterreich das brisante gesellschaftliche Phänomen. Im Landhaus St. Pölten stellten Arnold Mettnitzer, Karin Gutiérrez-Lobos und Bettina Ludwig der Einsamkeit Heilmittel wie Zugehörigkeit, Nachbarschaft und Gemeinschaft entgegen. Zudem stellten Betroffene und Aktive bewährte Beispiele aus der Praxis vor.
Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner verortete in der „vernetzten und verkabelten Welt die größte Gefahr. Soziale Kontakte, Begegnungen und Freundschaften gehen dadurch vielfach verloren.“ Den Jüngeren sollten Möglichkeiten vermittelt werden, wieder mehr in Kontakt zu treten – über Vereine, Feuerwehren und Musikschulen. „Das Beste, was man tun kann, ist, zu einer Gemeinschaft zu gehören.“
Den Dialog stellte beim mittlerweile dritten Symposium der Reihe „Kultur der guten Nachbarschaft“ auch Theologe und Therapeut Arnold Mettnitzer in den Fokus. „Jeder Mensch hat eine unstillbare Sehnsucht, von einem anderen als Mensch wahrgenommen und willkommen geheißen zu werden.“ In der Begegnung und in der Gemeinsamkeit liege die heilende Kraft, der Einsamkeit zu begegnen. Als Ursachen der Isolation nannte Mettnitzer unter anderem gekränkte Erwartungshaltungen, weswegen er dafür plädierte, im Gespräch zu bleiben und einander Geschichten zu erzählen. „Wir können am besten für Gemeinschaft sorgen, wenn wir uns mit Nachrichten versorgen, die um uns passieren. Zu erzählen, was einem zu Herzen geht, berührt und vereint. Und: Mensch ist der Mensch dort, wo er sich seinem Mitmenschen gegenüber als Mensch erweist.“
Einsamkeit starkes Thema für die Jugend
Karin Gutiérrez-Lobos ist Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapeutin und Co-Gründerin der „Plattform gegen Einsamkeit“. Einsamkeit sei wissenschaftlich erfasst als das „schmerzhafte Gefühl der Diskrepanz zwischen erwünschten und existierenden sozialen Beziehungen“ und könne durchaus als Motivator dienen, sich in Verbindung mit anderen zu setzen. Das Thema solle aber längst kein Tabu mehr sein und müsse eingehend erforscht werden. Vor allen Dingen sei, so Gutiérrez-Lobos, seit der Corona-Pandemie die Einsamkeit unter Jugendlichen enorm angestiegen und habe im Vergleich zur älteren Generation bis heute angehalten. „Dieses Thema müssen wir uns genauer anschauen, schließlich sind die Folgen der Einsamkeit für die physische und psychische Gesundheit, aber auch für die Gesellschaft, enorm.“ Social Media habe da einen Anteil daran. „So viele Klicks kann man gar nicht bekommen, wie man durch eine Umarmung Glücksgefühle bekommt.“
Von ihrem Aufenthalt in der Kalahari-Wüste Namibiens und dem Kontakt mit einer der letzten Jäger- und Sammler-Gesellschaften sprach Kultur- und Sozialanthropologin Bettina Ludwig in ihrem Keynote-Vortrag. Sie zählte Gemeinschaft, Weltbild, Kreativität, Selbsterkenntnis und Zugehörigkeit zum anthropologischen Rad des Lebens. „Wir sind darauf ausgelegt, gemeinsam zu sein, nicht alleine.“ Zugehörigkeit, so Ludwig, sei die knappste Ressource der modernen Welt. „Es geht darum, uns gegenseitig ständig daran zu erinnern und uns zu ermutigen, dass wir etwas beitragen können, dass wir uns selbst zugehörig fühlen und dass sich auch andere zugehörig fühlen. Das sind Kernaspekte, wie wir der Einsamkeit gegenüber treten.“ Anstatt sich zu fragen, wie es möglich werde, dass die Welt „da draußen“ freundlicher wird, solle man entgegenhalten, „wie wir es schaffen, dass wir ein freundlicher Teil dieser Welt sind“, betonte Bettina Ludwig.
Gemeinschaft als gelebte Praxis
Wie Zugehörigkeit und Zusammenhalt in der Praxis aussehen können, präsentierten Andreas Leuthner, Ama Ramona Lovenson und Manfred Greisinger. Andreas Leuthner fand nach einem Schlaganfall und einer Phase der Einsamkeit zu neuer Kraft, indem er sich dem Zeitpolster St. Pölten anschloss, einem Verein, der Zeit schenkt und Unterstützung bietet. „Meine Lösung war, anderen zu helfen.“ Ama Ramona Lovenson war nach ihrer Ausbildung auf der Suche nach einer sinnvollen und erfüllenden Tätigkeit. Heute ist sie Leiterin der Telefonseelsorge St. Pölten und kann so andere Menschen unterstützen. „Es gab ein tiefes Bedürfnis, etwas zu machen, was mir vom Herzen wichtig ist.“ Autor Manfred Greisinger fand durch die Begegnung mit seinen Nachbarn aus jahrelanger Depression. „Nachbarschaft ist das wirksamste Antidepressivum, das es gibt. Sie ist eine wunderbare Pille gegen die Einsamkeit.“
Gerade diese Kraft der Nachbarschaft steht im Mittelpunkt der Initiative „Nachbarschaft leben“, 2024 ins Leben gerufen von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. „Wir werden weiterhin versuchen, die Nachbarschaft zu stärken und heilsame Angebote zu setzen. Regionalkultur kann einen wesentlichen Beitrag leisten, dass es den Menschen besser geht. Sei es durch gemeinsames Singen, durch Handwerk, Kulturgenuss und dergleichen mehr“, betonte Kultur.Region.Niederösterreich-Geschäftsführer Martin Lammerhuber.
