Kamingespräch Macht und Haltung - ein Widerspruch

Christine Bauer-Jelinek stellte gleich zu Beginn des Gesprächs klar, dass Macht kein exklusives Instrument politischer oder wirtschaftlicher Eliten sei: „Macht wird von uns allen ausgeübt – im Beruf, in Beziehungen, im Alltag. Manches Mal genügt schon eine hochgezogene Augenbraue, um seinen Willen durchzusetzen.“ Sie betonte die Ambivalenz von Macht und die politische Vereinnahmung des Begriffs Haltung: „Heute erklären sich viele zu den Guten, sie allein glauben sich im Besitz der richtigen Werte, alle anderen werden zu den Bösen erklärt – solche Dynamiken tragen zur Spaltung der Gesellschaft bei.“

Thomas Schäfer-Elmayer beschrieb Haltung als moralisches Rückgrat: Er warnte vor der Versuchung von Macht und sprach von einer „großen Gefahr der Korruption“. Bauer-Jelinek stimmt dieser Ansicht grundsätzlich zu, differenzierte aber: „Macht verdirbt nicht den Charakter – Macht zeigt den Charakter.“ Erst in Situationen realer Entscheidungsmacht offenbare sich, wer standhaft bleibe. Sicher sei aber, dass Macht großes Suchtpotenzial habe: Wer an ständige Durchsetzungskraft gewöhnt sei, spüre ihren Verlust besonders stark. Die Expertin wies auch auf subtile Machttaktiken wie Demütigung, Brüskierung, das gezielte Ausnutzen von Schwächen und den stetigen Aufbau von Druck – nicht nur in der Politik auch im beruflichen Alltag – hin. „Diesen Machtspielen begegnet man am besten mit Humor – das ist oft die klügste Reaktion“, so Bauer-Jelinek.

Ein weiterer Schwerpunkt des Gesprächs lag auf gesellschaftlichen Veränderungen. Schäfer-Elmayer beobachtet eine Auflösung gemeinsamer Standards und Wertecodizes und zunehmenden Individualismus: „Mächtige Personen zeigen mit ihrem Auftreten immer häufiger, bestimmte Regeln gelten für uns nicht mehr.“ Bauer-Jelinek unterstrich, dass Macht und Haltung immer auf subjektiven Sichtweisen basieren – sowohl Werte, Haltung als auch moralische Überzeugungen seien individuell geprägt. Gerade aktuell seien Mächte auf dem Vormarsch, die das Recht des Stärkeren voranstellen und gleichzeitig überzeugt sind, im Recht zu handeln. Historisch betrachtet sei dies jedoch Teil eines sich ständig verändernden gesellschaftlichen Zyklus: Auch wenn wir derzeit eine Phase des Abstiegs erleben – es wird wieder eine Zeit kommen, in der soziale Werte, ein gesunder Umgang mit der Umwelt und geringere soziale Unterschiede zählen.“
Auch Schäfer-Elmayer äußerte die Hoffnung, dass sich langfristig wieder sozialere und werteorientierte Gesellschaftsformen durchsetzen werden.

Moderiert wurde das Kamingespräch von Michael Battisti, ORF NÖ

Das Kamingespräch wird am kommenden Mittwoch, 17.12.2025 um 21.00 Uhr auf ORF Radio Niederösterreich ausgestrahlt. Die Kamingespräche sind eine Veranstaltungsreihe der Kultur.Region.Niederösterreich in Zusammenarbeit mit dem ORF Niederösterreich.

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